Initiativgruppe Ausbesserungswerk
c/o Walter Bitzer, Friedrichstraße 38, 77654 Offenburg, 07 81 / 9 19 53 50


Offener Brief

An den Regierungspräsidenten
Dr. Sven von Ungern-Sternberg
Bissierstr. 7
79114 Freiburg

 

DENKMALSCHUTZ: Es geht auch anders. Beides ist möglich:
Erhalt des Ausbesserungswerk der Eisenbahn in Offenburg und BURDA - Druckzentrum.

Offenburg, den 4. Juli 2004

 
 

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident!

Die Initiativgruppe; Ausbesserungswerk' arbeitet seit vier Jahren daran, das alte Ausbesserungswerk der Eisenbahn in Offenburg zu erhalten und wirtschaftlich zu erschließen.

So ist es insbesondere namhaften Experten und dieser Bürgerinitiative zu verdanken, dass dieses Kulturdenkmal im Juli 2000 nicht abgerissen wurde und in der Offenburger Bevölkerung ein Bewusstsein für das am Oberrhein einzigartige Industriedenkmal ‚Ausbesserungswerk der Eisenbahn' und für die damit eng verbundene neuere Stadtgeschichte Offenburgs entstanden ist.

Dem Regierungspräsidium Freiburg liegt ein Abrissantrag des Offenburger Medienkonzerns HUBERT BURDA für das unter Ensemble- und Einzeldenkmalschutz stehende Werksensemble aus der Gründerzeit vor. BURDA will auf dem Gelände des denkmalgeschützten Ausbesserungswerk ein Druckzentrum bauen. Diese erneute Spekulation über ein, für die Historie einer Stadt, einer Region und der Bedeutung der Verkehrsgeschichte am Oberrhein, architektonisch einzigartiges Industriedenkmal wird bundesweit bekannt und auch sicher bundesweit diskutiert werden.

Die Initiativgruppe fordert den Regierungspräsidenten und die Kommunalaufsicht auf, bei der Abwägung des Abrissantrages und dem Erhalt dieses einzigartigen Industriedenkmals, dem Abrissantrag nicht stattzugeben und dieses Denkmal nicht aus der Liste der Denkmäler Baden-Württembergs zu nehmen.

Die Initiativgruppe ‚Ausbesserungswerk' hat mehrfach Einsicht in die - entsprechend der öffentlichen Diskussion mehr und mehr erweiterten -  Pläne für das Druckzentrum erhalten und konnte qualifiziert nachweisen, dass das Druckzentrum auch in seinem neuesten Optimalgrundriss durch Verschieben um 300 bis 400 m in dem unbebauten Nord-Bereich des Geländeareals genügend Platz mit Erweiterungsflächen findet. Ein Teil dieses Geländes befindet sich noch im Besitz der Deutschen Bahn AG, die aber auch dieses Gelände bereits bahnverkehrsmäßig entwidmet hat und auch zum Verkauf anbietet, wie der Initiative ausdrücklich und aktuell von Seiten der DB AG in Karlsruhe versichert wurde.

Vor diesem Hintergrund tritt die Initiative weiterhin für den Erhalt des Ausbesserungswerkes ein, verstärkt durch die Umstände, die zu den vertraglichen Regelungen des Gesamtareals ‚Ausbesserungswerk' zwischen der Stadt Offenburg und BURDA geführt haben. Sie hat Respekt zu der professionell entwickelten Standortsicherung durch das Haus BURDA und dem damit verbundenen Arrangement mit der Stadt Offenburg. Die Konstruktion des Arrangement stellt sich allerdings im aktuellen Ergebnis der Planungen als ein Politikum dar, das nicht mit der sachlichen Planungsgrundlage für die Realisierung des Druckzentrums in Verbindung gebracht werden kann. Es steht genügend Gelände zur Verfügung - für den Erhalt des denkmalgeschützten Werksensemble und dem projektiertem Druckzentrum -.

Über die Schwierigkeiten der Verhandlungen mit der DB AG zur Standortsicherung des Hauses BURDA in Offenburg offensichtlich gut informiert, wurde durch die regionale Presse‚ dem ‚Offenburger Tageblatt', ein Szenario, von mit Offenburg um den Standort der Druckerei BURDA konkurrierenden Gemeinden, inszeniert und Ängste um Arbeitsplatzverluste geschürt. Auf dem Höhepunkt einer gut vorbereiteten entsprechenden Stimmung, erhielt der Stadtrat Anfang Mai in einer geheimen, nicht öffentlichen Sitzung, in der Sitzungspause eine Beschlussvorlage mit dem Antrag des Hauses BURDA zur Errichtung eines Druckzentrums und dem damit verbundenen Abriss des denkmalgeschützten Ausbesserungswerkes. Der Inhalt der Beschlussvorlage wurde mündlich zusammengefasst vorgetragen und mit dem Appell an den Stadtrat verbunden: " Wir müssen jetzt BURDA ein einstimmiges Signal geben, dass er in unserer Stadt erwünscht ist:"

Viele Stadträte sprechen von einer Überrumpelung, deren Widersprüchlichkeit auch in der Kommunalwahl sichtbar wurde. Da wurde trotz des einstimmigen Stadtratbeschlusses - dennoch ab Ende Mai auf Plakaten, in Ansprachen und auf Visitenkarten für den Erhalt des Ausbesserungswerkes geworben!

Im Zusammenhang mit dem Stadtratbeschluss stellen sich Fragen:

  1. War der Stadtrat ausreichend informiert?
  2. Hatte der Stadtrat genügend Zeit, sich die Beschlussvorlage zu erarbeiten?
  3. Hatte der Stadtrat Vergleichsgrundstücke zur Abwägung der Entscheidung?
  4. Warum hatte der Stadtrat eine Möglichkeit der Verschiebung der Druckerei in den Norden des Areals, auf das für die JVA vorgesehene Grundstück, nicht erörtern können? Selbst das Justizministerium ließ sich bewegen für den zunächst geplanten Abriss eine von der Initiativgruppe vorgeschlagene Alternative zu diskutieren und zu akzeptieren.
  5. Hatte die Stadt und der Stadtrat für diese, für die Stadtentwicklung folgenschwere Entscheidung, eine Grundrissplanung des BURDA -Druckzentrums vorliegen?
  6. Wußte der Stadtrat, dass die Planung im Haus BURDA für das Druckzentrum im denkmalgeschützten Ausbesserungswerk noch vom Bau der JVA im Norden des Geländes ausging? Seit Januar weiß man, dass die JVA an diesem Standort nicht gebaut werden wird.
  7. War der Stadtrat darüber informiert, dass die Initiativgruppe ‚Ausbesserungswerk' zusammen mit dem Fachbereich 5 ‚Planen, Hochbau, Umwelt' einen Workshop zum Bebauungsplan ‚Ausbesserungswerk' vorbereitet hat?
  8. Wurde der Stadtrat darüber informiert, dass die Initiativgruppe ‚Ausbesserungswerk' kurz vor der Veröffentlichung eines Konzeptes zur wirtschaftlichen Entwicklung der Lok Richthalle I stand?

Zu diesem Konzept der Kommerzialisierung, der wirtschaftlich am schwierigsten zu vermarktenden Lok-Richthalle I, hat die Initiativgruppe die Idee eines ‚Bahnpark Offenburg', im Netzwerk mit bestehenden, wirtschaftlich erfolgreichen Bahnparks entwickelt und sehr viele Kontakte geknüpft. Geplant sind ein modernes lebendiges Eisenbahnmuseum mit gläserner Dampflokwerkstatt, mit zu vermietenden Stellflächen für andere historische Eisenbahnbetreiber (großer Bedarf!), mit Ausstellungsflächen für z. B. ‚physikalische Phänomene', Sammlungen wie ‚Space Design' und vor allem Unternehmens Incentive- und Event-Veranstaltungen, Kleinkunst, Raum-Klang-Experimente - ("die Halle fordert mit ihrem Echo dazu auf", Raumklang-Künstler und weltbekannter Posaunist Vitus Böhler), Freizeit- und Gastronomieangebote vor der Kulisse dampfender Loks und zischender Ventile. Die Initiativgruppe hat bereits Optionen auf Dampfloks und historische Züge. Eine Kooperation mit dem französischen Eisenbahnmuseum in Mulhouse, ‚Chemin de fer', ist angebahnt und ist z. Zt. ausgesetzt. (Nach Insolvenzverfahren wird das Museum am 3. Januar 2005 wieder öffnen.) Es besteht auch auf der französischen Seite großes Interesse, weil damit eine Förderung aus EU-Mitteln nach dem Interreg-Programm A in Aussicht steht. Aus Töpfen der verschiedenen Ebenen des Denkmalschutzes stehen Gelder bereit und die laufenden Kosten können aus Einnahmen gedeckt werden. Nach Einschätzungen von Wirtschaftsexperten, Hochschulprofessoren, steht das AW Offenburg in der Kosten-Risiko-Abwägung sehr gut da und die Finanzierungsgrundlagen werden als sehr günstig eingeschätzt.

Das Konzept eines ‚Bahnpark Offenburg' wäre ein Alleinstellungsmerkmal für Offenburg, dem weitere - wie sich zeigt, folgen werden. Das Ausbesserungswerk hätte in dieser modernen Umnutzung eine echte Inkubatorfunktion. So hat in diesem Zusammenhang bereits der Geschäftsführer von Manufactum und Mitinhaber Thomas Hoof mit der Initiative Kontakt aufgenommen und sich für das Konzept im Ausbesserungswerk interessiert gezeigt (www.manufactum.de) . Eine für den 14. Mai geplante gemeinsame Besichtigung des denkmalgeschützten Werksensemble wurde vorerst verschoben. Auch hat sich bei der Stadt Offenburg ein Investor mit einem besonderen Konzept eines Oldtimer-Marktes ‚Meilenwerk' - ein bestens funktionierendes Konzept läuft seit einigen Jahren in Berlin (www.meilenwerk.de) - unter der ausdrücklichen Voraussetzung der Realisierung eines ‚Bahnpark Offenburg' interessiert gezeigt.

Über das immense Potenzial des architektonisch einzigartigen Werksensembles aus der Gründerzeit für die städtebauliche Entwicklung Offenburgs und die Stadtgeschichte bestehen in Fach- und informierten Kreisen, keinerlei Zweifel. Die Entwicklung Offenburgs zeigt, dass Offenburg in der Gefahr steht eine gesichtslose Stadt zu werden. Eine ehemalige Reichsstadt ohne Stadtchronik, ein Oberzentrum ohne Wahrzeichen?

Das Verfahren zur geplanten JVA ist nach Kenntnis der Initiativgruppe, rechtlich noch nicht vom Tisch. Wie kann man da schon in ein neues Verfahren einsteigen? Das Verfahren ist daher und aus vielen anderen Gründen außerordentlich bedenklich. Es ist zu vermuten, dass es rechtswidrig ist. In jedem Fall verstößt es gegen die guten Sitten.

Sollte dieses Verfahren Schule machen, ist das verheerend gegen Stadtentwicklung gerichtet. Die Städte würden dann völlig an Großinvestoren, und an deren Möglichkeiten gruppendynamischen Druck zu machen, ausgeliefert. Die Initiativgruppe wehrt sich gegen solche Planungen von Investoren. Man kann sich von dieser Art Bequemlichkeit - nicht mehr nach produktiven Kompromissen suchen zu müssen - nicht überrollen lassen.

BURDA hat nach der öffentlichen Diskussion seine Planung immer mehr vergrößert. Dies ist nicht hinnehmbar und zeigt das Bedrohungspotenzial für Stadtentwicklung durch Quasi - Monopolstrukturen. Auch das Wirtschaftsinteresse muss sich an Rahmenbedingungen halten, die in einer demokratischen Gesellschaft ihren Sinn haben

Die Initiativgruppe  Ausbesserungswerk  hat am 12. Juni den beiliegenden  Offenburger Aufruf  veröffentlicht und wieder begonnen Unterschriften zu sammeln. Zusammen mit früheren Unterschriftensammlungen sind jetzt über 3500 Unterschriften für den Erhalt des Ausbesserungswerk gezählt worden.

Dieses Industriedenkmal darf nicht ohne Not abgerissen werden!
Es geht Beides: Druckzentrum und Erhalt des Kulturdenkmals  Ausbesserungswerk  -
in Nachbarschaft und ohne Enge und mit Gewinn für alle.

Das allerdings braucht Haltung, Herz, Intelligenz und Mut.

Hochachtungsvoll

Walter Bitzer

Sprecher der Initiativgruppe ‚Ausbesserungswerk'


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